Mittwoch, 22. Juni 2016

Interface Zero Fate Edition

Gestern hat Gun Metal Games die Fate Version vom bisher für Savage Worlds erhältlichem Cyberpunk Rollenspiel Interface Zero veröffentlicht. Ich habe heute und gestern ein wenig im PDF gelesen und will meine Eindrücke mit euch teilen.

Als Fan von Fate und Shadowrun habe ich diesem Projekt natürlich besonders entgegen gefiebert. Geht crunchiger Cyberpunk mit Fate Core? Gleich vorweg: Die Frage kann ich hier nicht beantworten, ein Test mit belastbaren Ergebnissen steht noch aus. Deswegen auch erstmal nur knappe Eindrücke vom Durchblättern und Anlesen.

Technisches

Ich bin aus verschiedenen Gründen großer Freund von elektronischen Regelwerken. Am liebsten natürlich als Augmented PDF (wie Void Star Studios mit Nova Praxis). Aber ich glaube auch, dass es sich für Verlage lohnen könnte. Fast jeder Verlag hat in seinem Haus- und Hof-Forum einen Fred zu Erratas seiner Produkte. Fans übernehmen als zweites Lektorat die Arbeit, Fehler in den Büchern ausfindig zu machen und dies dem Verlag mitzuteilen, woraufhin dieser nachbessern kann. Bei gedruckten Büchern ist das natürlich nicht so mal eben getan, PDFs können allerdings angepasst werden und - das beweist ein gelegentlicher Blick in meine persönliche Bibliothek bei DriveThruRPG - werden es auch regelmäßig. Das ganze kann man auf Neudeutsch also getrost eine Win-Win-Situation nennen. Da scheint es mehr als Altmodisch, als Verlag erst die gedruckte Version auf den Markt zu bringen und das PDF nachzureichen (wie es z.B. gerne der ansonsten so vorbildliche Uhrwerk-Verlag macht), wo man andersherum doch gleich einige Verbesserungen mitnehmen kann (das es ausreichend andere Gründe für diese Praxis gibt, will ich natürlich nicht von der Hand weisen).

Navigation und Inhaltsverzeichnis: Kraut und Rüben
Worauf ich hinaus will ist, dass mir schon nach wenigen Augenblicken klar wurde, dass das PDF von Interface Zero: Fate Edition mindestens technisch eine Frühgeburt ist. Es hat ein verlinktes Inhaltsverzeichnis am Anfang des Heftes und auch eines, das mein PDF-Leser als Navigation erkennt. Aber da ist man deutlich mit den Ebenen und Hierarchien durcheinander gekommen und die verlinkten Anker passen auch nicht jedesmal. Auf den ersten Blick scheint nämlich der immerhin 215 Seiten (vom insgesamt etwa 350 Seiten starken PDF) umfassende Regelteil komplett zu fehlen. Tatsächlich verbirgt er sich aber hierarchisch unterhalb des zwischen Cover und Inhaltsübersicht befindlichen Abschnittes "Legal Information". Auch ohne, das man diesen Bereich in der Navigation seines Betrachters aufklappt, scheint das restliche Inhaltsverzeichnis ziemlich umfangreich. Danach muss man wohl oder über den 16:9-Bildschirm hochkant klappen, um das Inhaltsverzeichnis mit einem Blick im Auge zu haben. An die Nutzung auf einem Tablet ist dabei nicht zu denken.

Wie schon angedeutet, landet man bei einem Klick auf den in der Navigation angepeilten Abschnitt auch nicht immer dort, wo man hinwill, zumindest bei den letzten Kapiteln der Weltenbeschreibung. Und die letzte "Blank Page" schickt einen auf das Cover nach ganz vorne. Index und Charakterblatt am Ende des Buches sind über die Navigation nicht zu erreichen (aber natürlich durch scrollen).

Bei all den Fehlern wirkt es ein wenig wie Jammern auf hohem Niveau, wenn man dazu noch auf die Links im Text verweist, die nicht mehr als statische Seitenverweise sind.

Charaktererschaffung

Bei einem neuen Regelwerk geht mein erster Blick immer auf das Inhaltsverzeichnis, der zweite aber gleich auf das Charakterblatt. Das ist völlig Fate Core-Untypisch ziemlich vollgepackt. Und wenn mein erster Eindruck der Regeln stimmt, sollte man sich lieber selbst einen zweiseitigen Bogen basteln. Aber alles der Reihe nach.

Die Charaktererschaffung ist über die Navigation des PDFs nicht zu finden (nicht einmal falsch untergeordnet), aber dennoch aufgrund anderer typischer Abschnitte in dieser zu erahnen. Sie beschreibt zuerst drei Optionen im Machtgrad einer Kampagne, die wesentliche Teile der Charaktererschaffung beeinflussen: Fertigkeiten, Anfangsausrüstung, Implantate und Stunts. Die ersten beiden Bereiche werden in Form der aus Fate Core bekannten Pyramide abgebildet (ja, auch die Ausrüstung), die Verfügbarkeit der Implantate geht von nix bis viel oder hochqualitativ und die Anzahl der Stunts startet im Machtgrad "Gutter Punks" bei 2 und geht in der Stufe "Elite Operatives" bis 5.

Bei der Bestimmung der Aspekte gibt es keine Überraschungen. Man kombiniert für das Konzept Rasse (es gibt 7) und Beruf (26), wählt das Dilemma frei aus und verfährt im Grunde auch wie gewohnt bei den restlichen drei Aspekten. Der einzige kleine Lichtblick hier ist eine etwas über eine Seite lange Übersicht über interessante Dilemmata.

Hier fällt wieder auf, das beim Layout ungründlich gearbeitet wurde. Mitten im Abschnitt über die Aspekte taucht eine Liste aller für das Spiel relevanten Fertigkeiten auf und es wird dazu noch die anfängliche Erholungsrate genannt, bevor die Dilemmata vorgestellt werden. Warum?

Spätestens nach der Lektüre der Archetypen, die auf etwa 7,5 Seiten Beispielcharaktere darstellen, gehe ich auf die Suche nach dem Abschnitt, wo die Kampagnenaufhänger beschrieben werden. Bei Shadowrun ist das generelle Konzept einer Runde ziemlich klar: Man spielt Shadowrunner. Interface Zero schmeckt aber - trotz aufgemotzer Hybriden und trotz Psi-Kräften - mehr nach Cyberpunk 2020 und ich kann mich nicht erinnern, wie man dort die verschiedenen Berufe unter einen Hut bekommen hat. Auf die schnelle habe ich nur die zwei Absätze umfassende Einleitung im Abschnitt über die Berufe (Occupations) gefunden. Und der einzige Satz zu dem, was ich suche lautet:
As you read through these occupations, keep in mind that for the most part, they represent your character’s day job; that thing she does to make ends meet when not going on missions.
Es geht um irgendwelche Missionen. Informationen dazu, um welche Missionen es geht und wie solche Missionen aussehen könnten, habe ich auf die schnelle noch nicht gefunden. Ein Blick in die SaWo-Version zeigt mir, dass es dort ein Kapitel über das Spielleiten gibt, sogar mit einem Abenteuergenerator. Das fehlt in der Fate-Version komplett.

Ausrüstung, Implantate... und Stunts

Es gibt tatsächlich eine Menge Ausrüstung in dem Buch, gut 70 Seiten. Das ist vor allem für Fate-Verhältnisse gut 68,5 Seiten mehr, als man gewohnt ist. Das muss aber nicht schlecht sein und war ja irgendwie auch zu erwarten. Tatsächlich wird hier beinahe 1:1 das abgearbeitet, was man von der SaWo-Version kennt. Und Waffen, Panzerung wie auch andere Gerätschaften bekommen vielfach eigene Werte. Das erklärt die etwa 20% des Charakterblattes, die der Ausrüstung eingeräumt werden und aus dem Bauch kommt mir gleich der Gedanke: Das reicht nicht. Aber so detailliert, wie ich es von Shadowrun gewohnt bin, ist die Ausrüstungsliste auch wieder nicht.

Trotzdem, da steht eine Menge. Und neben einer kleinen Beschreibung, bringt etwa die Hälfte der Dinge noch eigene Aspekte mit - zusätzlich zu denen, die jedes Ausrüstungsteil sowieso durch seinen Namen bekommt. Es gibt sogar einen Abschnitt über den Hersteller als Aspekt (mit Waffen von "Act of God Armamants" kann man wahlweise mehr Schaden machen oder Eindruck schinden, gereizt sorgt der Name für Kollateralschaden). Aspekte werden hier inflationär verwendet und es kommt der Eindruck auf, als wenn sie hier vor allem oder fast ausschließlich einseitig zu benutzen sind. Das wirkt erstmal komisch, widerspricht meiner Meinung nach dem Grundkonzept aber eigentlich nicht. Mein erster Impuls war, diesen Teil komplett abzulehnen und ggf. durch eine eigene Entwicklung zu ersetzen. Wenn ich aber daran denke, dass die Gegenseite genau so verfährt, wirkt das wiederum halb so schlimm. Wie sich das nun aber narrativ auswirkt, muss ich testen.

Neben Aspekten haben Waffen und (zumindest schwere) Panzerung auch Stufen, die direkt auf den Stress wirken (hilft Waffen also nur bei Erfolg, Panzerung hilft so natürlich nur bei einem Misserfolg).

Bei den Implantaten wird es spannend. Diese wirken nämlich jeweils wie Stunts, sind in ihrem Aufbau allerdings nicht an den typischer Stunts aus Fate Core angelehnt, sondern eher wie ausserhalb des klassischen Aufbaus stehende Boni, oder sie verleihen dem Charakter einen besonderen Aspekt.

Ich habe noch kurz die Stunts überflogen und glaube in der Kombination aus Ausrüstung und Stunts eine unschöne Schwachstelle in dem System gefunden zu haben. Anstatt sich aufeinander zu beziehen und sich an den Aufbau von Fate Core zu halten, wird mit der Ausrüstung ein ziemlich schwerer Teil an Fate Core angeflanscht. Stunts sind nämlich völlig eigene Besonderheiten, die ein jeder Charakter in verschiedener Anzahl beherrscht und die Aurüstungsstunts oder -aspekte kauft man sich. Das löst meinem Gefühl nach die ansonsten so einfache wie harmonische Balance in dem Aufbau eines Charakter völlig auf. Das muss nicht grundlegend schlecht sein. Aber ich hätte es bevorzugt, wenn Ausrüstung als Teil des Geschichtenerzählen verstanden worden wäre, wie es in der klassischen Version verwendet wird. Stattdessen wird es davon entkoppelt.

Ausrüstung erfordert ein eigenes Management und wird dazu jeweils als Aspekt behandelt, den man sich kauft. Das sind dann unmöglich Einladungen für alle, diese Dinge zum Geschichtenerzählen zu verwenden, sondern lediglich ein für den damit ausgerüsteten Spieler (oder SLC) kaufbarer Bonus. Dazu geben die Regeln im Ausrüstungskapitel deutlich vor...
If you’ve had time to prepare your equipment—clean your pistols, sharpen your blades, patch your software—you receive one free invoke on each item of equipment in the next scene.
Ich bin mir noch nicht sicher, ob das ein guter Weg ist. Aus dem Bauch heraus werden Aspekte vermutlich inflationär Verwendung finden und eine Art Wettrüsten in Gang setzen, die das Spiel nicht unbedingt bereichert.


Das sind erstmal die Dinge, die mir auf die Schnelle aufgefallen sind. Zumindest die technische Kritik wie auch das Fehlen des Abschnitts zur Spielleitung sollte ich mal übersetzen und den Machern zusenden. Wenn ich die Zeit dafür finde.


Interface Zero and all related marks and logos are trademarks of gun metal games and ©2016.

FateTM is a trademark of evil Hat Productions, LLC. the Powered by fate logo is © evil Hat Productions, LLC and is used with permission.




6 Kommentare:

  1. Kleiner Hinweis:
    Die Original-Version von Interface Zero ist die True20-Version!

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    1. Danke für den Hinweis. Irgendwo hatte ich mal etwas zu Interface Zero für Pathfinder gelesen. Aber da mich D20&Co nicht interessiert, habe ich das nicht weiter verfolgt.

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  2. Mich würden zwei Sachen interessieren. Ein Vergleich zwischen der SaWo und Fate Version. Fragestellung: "Welche Umsetzung ist deiner Meinung nach besser gelungen und fängt Cyberpunk besser ein?"

    Zweite Frage, welchen PDF-Viewer nutzt du am Rechner und/oder Laptop?

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    1. Statt Laptop meine ich natürlich Tablet... :D

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    2. Die Frage zu dem Viewer kann ich schnell beantworten. Auf dem Rechner (macOS) nutze ich Vorschau oder Skim, auf Tablet und Handy (iOS) den GoodReader.

      Die Umsetzung kann ich noch nicht wirklich beantworten, da ich weder die SaWo-Version, noch die Fate-Version gespielt habe. Ich glaube aber nicht, dass es einen großen Unterschied in der Darstellung des Cyberpunk geben wird. Für meinen Geschmack nehmen mich natürlich stimmige Kampagnenaspekte mit, die es bei SaWo nicht gibt. Ohne große Anpassungen bei der Fate-Version würde ich allerdings Savage Worlds bevorzugen.

      Dann ist da noch der fehlende SL-Teil in der Fate-Version. Auf Anfrage schreibt der Designer David Jarvis dazu: As far as a GM section is concerned, we went with a toolkit approach. I can talk with the writers about a possible GM supplement, but it wasn't part of the design scheme.

      Da fehlt mir ein für ein Rollenspiel wesentlicher (und sicherlich eigentlich ziemlich umfangreicher) Teil. Und das man den von Anfang an nicht eingeplant hat, enttäuscht mich ehrlich gesagt sehr.

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  3. Danke! Mich beschleicht, ganz leicht, das Gefühl, da wollte jemand auf der Fate-Welle mitreiten.

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